Skip to main content

-

current

Anzeige


Ronny Hardliz

Carola Ertle und Günther Ketterer stellen in dieser Kolumne mit Ronny Hardliz einen Künstler vor, der sich der Funktionsweisen globaler Produktions- und Ausbeutungs-Netzwerke annimmt, wobei er auf den erhobenen Zeigefinger verzichtet. 

| Carola Ertle und Günther Ketterer | Kultur
Ketterers
Carola Ertle und Günther Ketterer Foto: zvg

Kürzlich waren wir mit dem vielseitig begabten und beschäftigten Künstler Ronny Hardliz zum Mittagessen in der Hochschule der Künste Bern. Er hat uns von seinem aktuellen Forschungsvorhaben erzählt, das sich auf neuartige Weise mit dem Esel und dessen politischer, wirtschaftlicher und künstlerischer Bedeutung befasst – wir waren sogleich fasziniert und erschüttert.

Ronny ist ausgebildeter Architekt und verfolgt als bildender Künstler eine vielfältige Praxis in (bewegtem) Bild, Wort, Installation und Performance. In seinen künstlerischen Forschungen beschäftigt er sich unter anderem mit dem Architekturbegriff, Kunst im öffentlichen Raum, Dokumentarismen und Dekolonisierung. Sein Interesse an Eseln, dem Tierblick und dem Blick aufs Tier hat ihren Ursprung in seiner praxisbasierten Dissertation.

Momentan reist Ronny im Rahmen seines Projekts «De-Doc-Donkeywork: Decolonising Documentary Art Practices and the Global Crisis for Donkeys» um die Welt und untersucht dokumentarfilmisch die globalen Auswirkungen des steigenden Ejiao-Bedarfs in China. Ejiao ist eine aus Eselshaut hergestellte Gelatine, die in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet wird. Die landeseigenen Esels­bestände reichen für die Produktion nicht mehr aus, weshalb chinesische Unternehmen beispielsweise in Kenia Schlachthöfe für Esel gebaut haben. Zudem werden die Tiere im grossen Stil der lokalen Bevölkerung abgekauft. Dies erhöht die Preise, fördert Schmuggel und Diebstahl, und die Tiere fehlen für die eigene Arbeit auf dem Hof, vor allem für Frauen auf dem Hof und Markt. Die Situation verschärfte sich derart, dass die Afrikanische Union am 18. Februar 2024 das Töten von Eseln für den Handel mit Eselshäuten in ganz Afrika verboten hat. 

Uns beeindruckt dieses für die Funktionsweisen globaler Produktions- und Ausbeutungs-Netzwerke exemplarische Projekt. Zumal der Esel kein Unbekannter in der Kunst ist. Prominent vertreten ist er in religiösen Szenen in den Gemälden alter Meister oder in Tierbildern der Avantgarde. In jüngerer Zeit wurden Esel vermehrt im Skulpturenpark von Not Vital in Sent gesichtet. Dort können Besuchende auf einer Eselsbrücke in mehreren Metern Höhe über wackelige Eselsköpfe auf Pfeilern balancieren. 

Ronny folgt nun mit seiner Kamera den teilweise schlechten Lebensbedingungen der Tiere in Afrika und zeigt gleichzeitig die lokale Community-­Arbeit mit ihren Bemühungen zur Verbesserung der Situation der Tiere. Die Ejiao-Produktion in China nimmt er auch in den Blick, jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger. Vielmehr möchte er durch neuartige, sozusagen eselhafte Kameraeinstellungen die Zuschauenden mit ihrer eigenen, manchmal ausbeuterischen Beziehung zu Tieren konfrontieren. Seine Filme sollen erst im Herzen, dann im Kopf wirken. Wir sind sehr auf das filmische Ergebnis seiner Forschungen und Reisen gespannt.

Carola Ertle und Günther Ketterer widmen sich mit ihrer Kunstsammlung schwerpunktmässig der Videokunst.


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


Grandes Dames

Carola Ertle und Günther Ketterer erinnern sich in dieser Kolumne an zwei grosse Künstlerinnen, die letztes Jahr gestorben sind: Beatrix Sitter-Liver und Ka Moser.

Übers Kreise schliessen

Unsere Kolumnistin hat einen Brief an ihr achtzehnjähriges Ich geschrieben und ihn am Literaturfestival Literaare in Thun vorgelesen. Er erscheint hier in gekürzter Form.

Fiebern

Unsere Kolumnistin Alice Galizia erzählt in dieser Kolumne von ihrer neuen überraschenden Liebe und dem Ende der Genre-Zuschreibungen.