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In der Wendeschleife des Lebens

Regula Portillos dritter Roman handelt vom Abschiednehmen. Während die Protagonistin Anna im Alterspflegeheim als Pflegefachkraft regelmässig mit dem Tod konfrontiert ist, trifft sie das plötzliche Verschwinden des jungen Mannes, der auf seiner Interrail-Reise ihr Sofa zum Übernachten benutzte, wie der Schlag. 

| Bettina Gugger | Kultur
«Wendeschleife» ist Regula Portillos dritter Roman. Foto: Ayse Yavas
«Wendeschleife» ist Regula Portillos dritter Roman. Foto: Ayse Yavas

Annas Leben spielt sich zwischen der Arbeit im Alterspflegeheim Linde, den Treffen mit ihrem Bruder Flo und Nichte Lara und dem befreundeten Paar Sara und Claire ab. Die Telefongespräche mit der Mutter ähneln
dem «Pingpong», die beiden wechseln «kurze Sätze hin und her», ohne dass sie sich etwas zu sagen haben. Anrufe der Mutter drückt Anna auch schon mal weg. Die Mittdreissigerin, die früher selbst gerne gereist war, bietet Reisenden über eine Vermittlungsplattform eine Übernachtungsmöglichkeit an, um sich auf diese Weise die grosse weite Welt nach Hause zu holen. Ausserdem hat Anna eine Trennung von Partner Tom hinter sich, der mit dem Beziehungs-Aus die vermeintlich gemeinsamen Freundschaften mitgenommen hat. 

Durch den Übernachtungsgast Oliver erfährt Annas Leben eine Wende. Der junge, fröhliche Amerikaner macht auf seiner Interrail-Tour Halt in Bern. Nach einem Abstecher nach Zermatt soll die Reise weiter nach Rom gehen. Oliver taucht für drei Tage in Annas Leben ein; er lernt Tom und Lara kennen, die sofort für den jungen Mann Feuer fängt. Sie spielen zu viert Ball auf der Münsterplattform, bevor sie im Zebra Sara und Claire treffen, die Oliver spontan nach Boston einlädt. Doch dazu soll es nie kommen.

Umgang mit der Ungewissheit

Der Kartoffelgratin ist im Ofen, Anna gerade dabei, den Salat zu waschen, während sie Olivers Lieblingsband «The National» hört. «Ich werde Lichtjahre von dir entfernt sein», übersetzt sie den Refrain und als wäre die Musik ein Omen setzt ein langes Warten ein. Oliver kommt nicht wie verabredet aus Zermatt zurück, obwohl er seine Reisetasche in Annas Wohnung zurückgelassen hatte. 

Während die eigentliche Handlung fortschreitet, fügen sich die zeitlosen Sequenzen aus dem Alterspflegeheim wie ein Teppich unter die Erzählung, um die harten Schritte und Gespräche, die Gewissheit verschaffen, zu dämpfen. Anna wird für den pflanzenkundigen Herrn Felber und die blinde Frau Steinbach zu einer wertvollen Begleiterin auf dem Weg zur letzten Reise. Ihr geht es darum, den alten Menschen «ihre Würde und ihren Willen» zu lassen. «Niemanden aus Zeitmangel bereits kurz nach achtzehn Uhr mit Windeln ins Bett zu legen, den Bewohnenden zuzuhören, mit einem wahren Interesse dafür, wer sie waren und wer sie im Hier und Jetzt sein wollen, ihnen Begegnungen und Gespräche ermöglichen …» Narrative Interviews, die Regula Portillo für eine Kommunikationsagentur mit Bewohnerinnen und Bewohnern eines Altersheims führte, inspirierten die Autorin zum Roman. «Dabei ist mir die liebevolle Haltung der Pflegenden positiv in Erinnerung geblieben», so Portillo. Die bedrückende Atmosphäre, die sie erwartete hatte, habe sie kaum vorgefunden. 

Anna plädiert für «Menschlichkeit und Demut, gegenüber dem Leben, dem Alter und dem Altwerden». So wird im Roman das scheinbar Nebensächliche des Alltags zum Quell des Trostes und aus einer schicksalshaften Verbindung im Unglück entwickelt sich eine Freundschaft, während Gespräche, Erinnerungen und Fotos ein Bild von Oliver zeichnen, den es, so vermutet Anna, so nie gegeben hat. 

 

Regula Portillo

 

… wurde 1979 geboren und wuchs im Kanton Solothurn auf, studierte Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Freiburg und Buch- und Medienpraxis an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Nach mehreren Jahren in ­Nicaragua, Mexiko und Deutschland arbeitet sie heute in Bern, wo sie auch mit ihrer Familie lebt. 

Von ihr sind in der edition bücherlese ausserdem erscheinen:  «Schwirrflug», 2017 und «Andersland», 2020. Regula Portillo arbeitet ausserdem regelmässig für den «Anzeiger Region Bern».

 

«Wendeschleife», edition bücherlese, 2024. ISBN 978 3 906907 87 1

Quartierbibliothek Laubegg, Bern, 25. April, 19.30 Uhr, Lesung aus «Wendeschleife».

ONO Bern, 2. Mai, 20.00 Uhr, Lesung aus «Wendeschleife», Moderation Mike Bucher. 

Weitere Infos: regulaportillo.com


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