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«En eigechöpfige Mitkämpfer für d Freiheit und d Grächtigkeit seg er gsi»

Andri Beyeler widmet sich in seiner neusten Publikation, «Sang von einem Drucker und Siedler», dem Leben des Kommunisten Fritz Jordi, der als Drucker, Verleger und Siedler vielfach gewirkt hat. Mit Zeichnungen im Stil von Linoleum-Schnitten antwortet der Autor auf die bewegte Biografie, die ihren Anfang in der Druckerei des Vaters in Belp nahm.

| Bettina Gugger | Kultur
Beyeler
Andri Beyeler hat eine hohe Affinität für Zeitungen, Fanzines und Kunst. Foto: Nik Egger

«Dan er en Schpinnsiech gsi seg / uf sim Hügel obe, / a sim Bärghang; / schtoht nid i de Ziitig noch sim Tood, / oder ämel nid i däne Wort.» Mit diesen Zeilen beginnt Andri Beyelers «Sang von einem Drucker und Siedler» über den Kommunisten, Drucker und Verleger Fritz Jordi, Vorfahre der heutigen Besitzer der Druckerei Jordi in Belp. In unzähligen Stunden hat Beyeler im Archiv Fragmente aus Fritz Jordis Leben geborgen und sie zu einer Biografie verwoben, die sich assoziativ entrollt.
«En eigechöpfige Mitkämpfer / für d Freiheit und d Grächtigkeit / seg er gsi, / …  / radikal i sinere Gsinnig, / fiingeischtig, hochbildet, härzensguet / und im persönliche Umgang d Treui in persona, / fascht wetti me säge: / en Edel­anarchischt».
Dieser Edelanarchist kommt 1885 in Bern als Sohn eines Druckers und eines Kammermädchens zur Welt und wächst mit vier Brüdern und einer Schwester auf. Er beendet frühzeitig seine Schulzeit, um eine Druckerlehre im Geschäft des Vaters in Belp anzutreten. Auf der anschliessenden Walz infiziert er sich mit dem sozialistischen Virus, das seine künftigen politischen und beruflichen Aktivitäten prägen sollte. Bereits 1906 tritt er der Sozialistischen Partei bei. 1910 heiratet er Ida, geborene Hofer, eine Damenschneiderin aus Chäsitz. Mit dreissig Jahren gründet er den Promachos-Verlag, um der Druckerei des Vaters Arbeit zuzuführen und den Verlag in den Dienst der Sozialdemokratischen Partei zu stellen.
Die «Vertretung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik» lässt ab 1918 ihre Schriften im Promachos-Verlag herausgeben, was die Bundesanwaltschaft auf den Plan ruft. Die Heerespolizei beschlagnahmt Manuskripte, Broschüren, Briefe und den Lagerbestand. Auf Beschluss des Bundesrates werden zwei Jahre später alle Schriften des Promachos-Verlages eingezogen und vernichtet – einzig die Landesbibliothek kann je ein Exemplar für die Nachwelt retten.

Zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten

Jordi lässt sich jedoch nicht entmutigen. In Biel gründet er zusammen mit seinen Brüdern Emil und Hans eine Genossenschaftsdruckerei. Sie geben das «Arbeiter-Blatt» heraus, zeitweilig offizielles Publikationsorgan der Sozialdemokratischen Partei und der Arbeiter-Union Biel. Eine genossenschaftlich organisierte Druckerei, initiiert von Privaten, stösst auf Argwohn. Die linke «Berner Tagwacht» wittert Konkurrenz, der Seeländer Kreisverband der Sozialdemokraten verweigert den Jordis seine Unterstützung. Auf das «Arbeiter-Blatt», das sich nicht durchsetzen kann, folgt der «Bieler Vorwärts», eine linke Lokalzeitung.
Für die Kommunistische Partei druckt Jordi «Die rote Fahne». Den Behörden ist er ein Dorn im Auge: «Da sini politisch Tätigkeit / ‹infolge seines ge­radezu aufhetzerischen Auftretens› / hauptsächlich i journalistischer Hiisicht / sehr z wünsche übrig löhsi, / schriibt Biel im Juni nünzeh, / er seg en extreme Bolschewischt / und eine vo de Hauptagitatore / vo de kommunistische Partei, / wo doh letschti neu seg gründet worde.» Drei oder vier Mal wird er wegen seiner im engeren oder weiteren Sinne publizistischen Tätigkeit «gepäckelt» und muss kleinere Haftstrafen verbüssen. Jordi ist eine Art Mentor für die «Bieler Jungpursche», die Jugend­organisation der Sozialdemokraten.
«Jordi ist es nie gelungen, eine mehrheitsfähige Position zu vertreten», so Beyeler. Die Welt in der er lebte, war eine bürgerliche, er bewegte sich zwischen den sich konkurrierenden Sozialdemokraten und den Kommunisten und war als Drucker und Verleger Unternehmer.
1921 besucht er den Barkenhoff in Worpswede, eine Künstlerkolonie, gegründet vom Künstler Heinrich Vogeler, der zu Jordis engem Freund werden soll. Im Sommer 1922 wird er von der Bieler SP beauftragt, ihr neues Publikationsorgan «Die Seeländer Volksstimme» herauszugeben. Aufgrund mangelhafter Buchhaltung entzieht ihm der Parteivorstand 1923 den Auftrag. Jordi steht einmal mehr vor dem Nichts. Ein Jahr darauf stirbt seine Frau.
Inspiriert vom Barkenhoff erwirbt Jordi den Weiler Fontana Martina in Ronco sopra Ascona. Die nächsten Jahre arbeitet er an der Instandstellung der Häusergruppe – geplant ist ein Kinderheim – bis ein Wettersturz seine Bemühungen zunichte macht. Während dieser Zeit wohnen seine zwei Buben Fritz und Peter mal alleine, mal zusammen mit der Schwester Theres-Eva, der Grossmutter, dem Neffen und den Cousins am Neuhäuserweg 8 (heute Rosenweg), wo er auch eine Buch- und Offsetdruckerei betreibt. Jordi publiziert eine Monatsschrift «für Körper- und Geisteskultur, Sexualpädagogik u.s.w.» und plant, Literatur und Kunst zu verlegen.

17 2024 Beyeler III

Illustration zur Episode «Bruderzwist». Foto: zvg

Kurze Blüte der Künstlerkolonie

Zusammen mit seinem jüngsten Sohn Peter und der Mutter macht sich Fritz Jordi an den Aufbau von Fontana Martina. Ab 1930 ist der Weiler Anziehungspunkt für Künstler, Intellektuelle und Kommunisten. Vormittags widmet sich die Gemeinschaft der Landwirtschaft, nachmittags der künstlerischen Arbeit. Der Berner Künstler Hans Mäusli schafft einen Brennofen an, um fortan Keramik herzustellen, die der Künstlerkolonie das Überleben sichert. Sohn Peter wird später seinen Lebensunterhalt als Töpfer bestreiten. Fritz Jordi publiziert einmal mehr eine Zeitschrift, «Fontana Martina», mit Holz- und Linol­schnitten der befreundeten Künstler, Texten übers Siedeln und gegen den Faschismus. Ab Mitte der 30er-Jahre wird es ruhig in Fontana Martina; wer vor dem deutschen Faschismus geflüchtet sei, habe die Künstlersiedlung aufgrund der Nähe zu Italien und dem italienischen Faschismus gemieden. Fritz Jordi stirbt schliesslich 1938 nach einem Spitalaufenthalt.
«Fritz Jordis reichhaltige Biografie hat mich inspiriert», meint Andri Beyeler. Jordi habe stets versucht, das Verhältnis zwischen politischem Engagement und Lohnarbeit, Öffentlichkeit und Privatleben auszutarieren, wobei er Teil einer Gegenkultur gewesen sei. «Und er hat sich nach Niederlagen immer wieder aufgerappelt und etwas Neues ausprobiert.»

Verfasst hat Beyeler seinen Sang in Schaffhauserdeutsch, seiner Literatursprache. Er betont, dass sein Text keine streng historische Biografie sei. Als Autor interessiere ihn der Klang eines Textes. So entwickelte sich «Sang von einem Drucker und Siedler» aus dem Theatertext «Vom Einsetzen und Absetzen», den er 2014 für seine Tanz-Theater-Gruppe Kumpane schrieb. Jordi liess ihn nicht mehr so schnell los. Für die «Schaffhauser AZ» schrieb er von 2018 bis 2021 eine Kolumne über das bewegte Leben des Druckers. Ausgehend von diesen 18 Episoden folgten 16 weitere Kapitel, welche diese Edition vereint. Parallel dazu entstanden Beyelers Zeichnungen im Stil von Linoleum-Schnitten der 20er-Jahre, welche die Publikation zu einer echten Trouvaille machen. Die strengen Formen, scharfen Kanten und in Schwarz, Weiss und Rot gehaltenen Motive erinnern an kommunistische Propagandaplakate – eine Lesart, die immer wieder humorvoll gebrochen wird. Auf Jordis Entwicklung zum Siedler antwortet Beyeler zeichnerisch mit entsprechend freier Gestaltung, die verblüfft, berührt und Jordis publizistischen Pioniergeist in die Gegenwart holt. Gedruckt wurde die Publikation – wie könnte es anders sein – von der Jordi AG in Belp.

Progr, Kleine Bühne, Bern, 2. Mai, 20.00 Uhr, Buchvernissage.
«Sang von einem Drucker und Siedler», Der gesunde Menschenversand, 2024. ISBN 978-3-03853-203-3


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