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An der Primarschule Bethlehemacker haben Schülerinnen und Schüler eine Lehrperson umkreist und sie mit religiösen Sprüchen eingeschüchtert. Der Schulleiter wählt in einem Elternbrief deutliche Worte – dies sei Teil des pädagogischen Umgangs mit dem Vorfall, sagt er.
Der Elternbrief tönt drastisch. Mehrere 5.- und 6.-Klässlerinnen und -Klässler hätten sich am 13. Dezember in der Pause gegen eine Lehrperson der Pausenaufsicht gewandt. Die Gruppe Kinder habe sich abgesprochen, einen Mob gebildet, sich der Lehrperson in den Weg gestellt, diese schliesslich umkreist und religiöse Sprüche wie «Allahu Akbar» gerufen. So steht es in einem Brief von Schulleiter Sebastian Teuscher, datiert vom 14. Dezember, der an sämtliche Eltern dreier Schulklassen ging und dem «Anzeiger» vorliegt. «Die Situation hat uns als Schule schockiert. Das Verhalten der Gruppe ist nicht tolerierbar», heisst es weiter.
Die Schilderungen wecken schlimme Befürchtungen. Gerät die Situation an der Schule in Berns Westen ausser Kontrolle? Oder ist am Ende alles nur halb so wild?
Wie Schulleiter Teuscher auf Anfrage des «Anzeigers» ausführt, ist eher Letzteres der Fall. Aber Teuscher will den Vorfall nicht bagatellisieren, dieser sei «sehr irritierend» gewesen und ernst zu nehmen. Allerdings habe sich die Situation in den letzten Jahren eher beruhigt als zugespitzt. «Der Vorfall kam ein wenig aus dem Nichts.» Die deutlichen Worte im Elternbrief seien auch dazu da, zu zeigen, dass man solche Dinge ernst nehme. Dies sei bereits Teil des pädagogischen Umgangs mit der Situation.
Wie aus dem Brief weiter hervorgeht, hat die Schule bereits Massnahmen ergriffen. Die Klassen mit den fehlbaren Schülern müssen fortan getrennt in die grosse Pause und sind dabei stets unter Aufsicht der Klassenlehrperson. Gegen die beteiligten Schülerinnen und Schüler stehen auch disziplinarische Massnahmen wie Verweise zur Debatte. Ausserdem müssen sie zum Gespräch antraben, der Vorfall soll aufgearbeitet werden.
Schulleiter Teuscher und die Schule Bethlehemacker orientieren sich – wie immer mehr Schulen in Bern – am Konzept der «neuen Autorität». Dieses sieht vor, dass Autorität vor allem auf Präsenz, Transparenz und Beziehung basiert. Bei Problemen werden auch verschiedene Bezugsgruppen eingebunden; die deutlichen Worte im
Elternbrief entsprechen dieser Logik.
Laut Teuscher reicht es nicht, dass sich die beteiligten Schüler unterdessen entschuldigt haben. «Für Wiedergutmachung ist es noch zu früh, wir sind noch in der Phase der Betroffenheit», sagt er. Die Kinder müssen zuerst also deutlich spüren, dass sie Grenzen überschritten haben, bevor man über Versöhnung sprechen kann.
Neben den Drohgebärden der Kinder muten auch die religiösen Parolen befremdlich an. Der Verdacht liegt nahe, dass sie diese aus dem Elternhaus haben und auf die Schulhöfe tragen. Teuscher interpretiert diese aber eher als kindliche Provokation. Ein gutes Zeichen sei, dass sich viele Eltern der beteiligten Schüler bereits gemeldet hätten. «Gerade auch die Eltern von jenen Schülern, die an vorderster Front dabei waren, nahmen die Vorwürfe ernst und goutierten das Verhalten ihrer Kinder überhaupt nicht.»
Teuscher ist nicht allein mit seiner Einschätzung. Auch Andreas Heuer, Präsident der zuständigen Schulkommission, will die Situation an den Schulen in Berns Westen aufgrund dieses Vorfalls nicht dramatisieren. «Die Kinder haben eine Grenze überschritten. Das kann nicht toleriert werden und muss für die beteiligten Kinder Folgen haben», sagt er. Die Probleme im Bethlehemacker und an den anderen Schulen im Schulkreis Bethlehem hätten aber keine Dimension, die von den Schulen nicht bewältigt werden könnten.
Vorfälle mit Gewalt seien etwa äusserst selten, sagt Heuer, der auch für die Schulen Schwabgut und Tscharnergut zuständig ist. Manchmal gebe es Probleme mit Vandalismus, aber das sei in allen Schulen der Stadt Bern der Fall. «Als ich in den 1970er-Jahren auf dem Land zur Schule ging, brannten sich die Jungen regelmässig gegenseitig ihre Mofas nieder. Von so einem destruktiven Verhalten habe ich hier noch nie gehört.»
Schönreden will Heuer die Situation an den Schulen im Schulkreis Bethlehem trotzdem nicht. Der Migrationsanteil sei hoch, Armut verbreitet, nur wenige Schüler schafften es in die Sekundarschule oder gar aufs Gymnasium. Letztlich fänden aber fast alle Schüler eine Lehrstelle oder eine Anschlusslösung. «Sie werden halt etwa Automechaniker oder Kosmetikerin, sie wählen also vermehrt Berufe im Handwerk und in der Dienstleistungsbranche, was im Kirchenfeld vielleicht nicht so gängig ist.» Mit Problemvierteln in Deutschland oder Frankreich könne Bethlehem aber definitiv nicht verglichen werden.