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Männerlastiges Jubiläum in der Dreifaltigkeitskirche

Die Katholiken der Stadt Bern feierten am vergangenen Sonntag ein doppeltes Jubiläum: 225 Jahre katholische Gemeinde und 125 Jahre Dreifaltigkeitskirche an der Taubenstrasse.

| Hanspeter Bundi | Gesellschaft
Jubiläumsmesse in der Dreifaltigkeitskirche. Foto: Nik Egger
Jubiläumsmesse in der Dreifaltigkeitskirche. Foto: Nik Egger

Der Einzug zum Gottesdienst war imposant und männerlastig. An der Spitze gingen 20 Jugendliche in naturweissen Kleidern, darunter auch einige Mädchen. Dazu kamen zwei Lektorinnen in Zivil. Alle anderen waren Männer, vom päpstlichen Nuntius über Bischof Felix Gmür aus Solothurn bis zu den zehn Priestern und Seelsorgern. Die Orgel spielte, ein Vokalensemble sang. Die Dreifaltigkeitskirche war mit geschätzten 700 Gästen gut gefüllt. 

Nach der Reformation verboten

Am 9. Juni 1799 war in einem Seitentrakt des Münsters zum ersten Mal nach langer Zeit wieder eine katholische Messe gelesen worden, und am 18. Juni 1899 wurde die Dreifaltigkeitskirche an der Taubenstrasse eingeweiht. Ein «Wendepunkt im katholischen Lebens Berns», heisst es dazu im Pfarrblatt von Juni 2024.

Nach der Reformation war Bern fast 300 Jahre lang eine durch und durch reformierte Stadt gewesen. Katholische Gemeinden und Gottesdienste waren staatlich verboten. Erst die Französische Revolution und die Helvetik brachten so etwas wie Religionsfreiheit. Am 9. Juni 1799 wurde im Münster zum ersten Mal seit der Reformation wieder eine katholische Messe gefeiert. Doch die Katholiken, vor allem eingewanderte Arbeiter aus dem katholischen Süden der Schweiz, blieben ein kleines Grüppchen ohne politisches Gewicht. 

Das blieb auch so, als das Personal der diplomatischen Vertretungen aus der ganzen Welt, Parlamentsmitglieder und Angestellte der neuen Bundesverwaltung dazukamen. Staatsreligion war weiterhin der reformierte Glaube, und die mittlerweile 1500 Katholiken waren mehr geduldet als akzeptiert. Man beäugte einander gegenseitig. Man pflegte Vorurteile, oder man betonte Gemeinsamkeiten, je nachdem, welche Priester und Prediger gerade das Sagen hatten. 

Im Jahr 1864 kam Hoffnung auf. Die Katholiken weihten an der Rathausgasse Peter und Paul ihre erste Kirche
ein … und wurden schon zehn Jahre später wieder daraus vertrieben. Die staatlichen Behörden übergaben «Peter und Paul» der neuen und kleinen christkatholischen Gemeinde, die sich von der römisch-katholischen Kirche abgespalten hatte. 

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Bischof Felix Gmür an der Jubiläumsmesse. Foto: Nik Egger

25 Jahre in Provisorien 

25 Jahre lang mussten die Katholiken ihre Gottesdienste in Provisorien abhalten, darunter eine Kapelle im Hotel Krone. Am 18. Juni 1899 konnten sie dann an der Taubenstrasse die Dreifaltigkeitskirche einweihen. Auch damals war es der Bischof aus Solothurn, der die feierliche Messe las. Zu den Gästen gehörten Bundesrat Josef Zemp, der erste katholisch-konservative Bundesrat der Geschichte. Dazu kamen 150 Ehrengäste und Hunderte von Gläubigen, nicht nur aus Bern. Das Kirchenschiff war bis auf den letzten Platz besetzt. Man blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Für die Berner Katholiken war die eigene neuromanische Kirche eine Befreiung und die Bestätigung der eigenen Existenz. Die Dreifaltigkeitskirche an der Taubenstrasse wurde zum Zentrum einer religiösen Minderheit, die in Zukunft weiter anwachsen sollte.

Die Zahlen der öffentlichen Statistik des Kantons Bern sind eindrücklich. Bis zum Jahr 1900 verdoppelte sich die Anzahl der Katholiken auf etwas über 6000 Männer und Frauen. Das waren rund 10 % der Stadtbevölkerung. Im Jahr 1970 waren es 41 000 Personen, rund 25 % der Stadtbevölkerung. 

Auch institutionell war die katholische Gemeinde etabliert. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs erhielten die drei Stadtpfarreien Dreifaltigkeit, St. Marien und St. Antonius den Status von staatlich anerkannten Kirchgemeinden. Weitere neue und moderne Kirchen wurden gebaut. Das gegenseitige Misstrauen zwischen Reformierten und Katholiken schwand. Die gemeinsamen christlichen Wurzeln wurden wichtiger als die Unterschiede im kirchlichen Überbau. 

Umkämpfte Prärie

In den 1970er- und 1980er-Jahren öffneten sich die christlichen Kirchen den Ideen der sozialen und kulturellen Revolution von 1968 und richteten ihren Blick zunehmend auf die damals so genannte «Dritte Welt» und auf Menschen, die am Rand der Gesellschaft lebten. In der Dreifaltigkeitskirche zeigte sich dies in der «Prärie». Die alte Stadtvilla im Park hinter der Kirche wurde zu einem vielfältigen Zentrum, das von idealistischen, vorwiegend jungen Menschen getragen wurde. Mit dem regelmässigen Mittagessen öffneten sie die Kirche für Studenten oder Bundes­beamte ebenso wie für Randständige. Alle sassen an einem Tisch. Als die Prärie abgerissen werden sollte, um anderen, grösseren und zweckmässigeren Gebäuden Platz zu machen, bekämpfte ein Teil der Gemeinde das Projekt und hatte  mit dem Motto «Chiuche läbe statt boue» Erfolg. Die Prärie blieb erhalten. Heute ist sie ruhiger geworden. Den Mittagstisch gibt es noch immer, doch es sind vorwiegend ältere Gemeindemitglieder, die ihn tragen.

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Jugendliche Gläubige. Foto: Nik Egger

Bedeutungsverlust 

In den 1960er- und 1970er-Jahren befanden sich die etablierten christlichen Kirchen in einem Hoch. Im Jahr 1970 gehörten in Bern 157 000 Leute einer der beiden grossen Landeskirchen an, stolze 97 % also. Im Jahr 2020 bezeichneten sich nur noch knapp die Hälfte aller Berner und Bernerinnen über 15 Jahre als reformiert oder katholisch. Dazu kamen 13 % Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften. Am meisten hochgeschnellt ist die Zahl der Konfessionslosen. 1970 wurde ihre Zahl statistisch noch nicht ausgewiesen, 50 Jahre später machten sie 37 % aller Einwohner und Einwohnerinnen aus. 

Die Zahlen zeigen einen dramatischen Bedeutungsverlust der etablierten Kirchen. Es ist eine Entwicklung, die auch die Kirchenleitungen beschäftigt. In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft gebe es immer mehr Leute, die sich nicht binden wollten, sagt Christian Geltinger, Sprecher der katholischen Stadtpfarreien. «Dieser Rückzug ins Private betrifft auch andere, nicht religiöse Bereiche und Vereine», sagt er. «Wir müssen darüber nachdenken, wie wir damit umgehen. Dazu gehört auch das Nachdenken über innovative Nutzungskonzepte kirchlicher Gebäude.» Mit anderen Worten: Auch die Katholiken denken darüber nach, was sie mit ihren nur schwach genutzten Liegenschaften machen wollen. Doch an der grossen Jubiläumsfeier war das kein Thema. In seiner Predigt bezeichnete Bischof Gmür den Gottesdienst als Ort der Freude und mahnte an die Pflicht, diese Freude in die Welt zu tragen. Die Präsidenten der katholischen und der reformierten Gesamtkirchen lobten Zusammenarbeit und Ökumene. Die sich verändernde Welt und der Mitgliederschwund der beiden Kirchen blieben aussen vor. 

Später, beim Apéro riche im Kirchhof, blitzte so etwas wie Zuversicht auf. Die Gottesdienste der Dreifaltigkeitspartei seien gut besucht, sagten alle, mit denen der «Anzeiger» sprach. Allein bei der Sonntagsmesse um 11 Uhr seien regelmässig zwischen 300 und 500 Leute dabei, darunter erfreulich viele junge Menschen. Die Aufbruchstimmung, die vor 125 Jahren die Feier geprägt hatte, war allerdings auch bei diesem grosszügigen Apéro weit weg.


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