Skip to main content

-

current

Anzeige


«Die Welt ist auf­geladen. Das andere kann auch in einem selbst sein»

«Die Entführung aus dem Serail» ist Barbara Webers erste Operninszenierung. Der «Anzeiger Region Bern» besuchte eine Probe und sprach mit der Regisseurin über Mozarts innere Welten und eine moderne Interpretation, die den Serail als Versuchsanordnung ins Zentrum rückt.

| Bettina Gugger | Kultur
Mozart
Josefina Mindus und Patricia Westley Foto: Janosch Abel

Grüne und blaue Stoffbahnen hängen von der hohen Decke. Eine grosse Schaukel verspricht das Abheben in luftige Höhen. Am linken Bühnenrand steht ein Himmelbett. Eine Art vergittertes Podest führt in die inneren Räume des Serails. Am rechten Bühnenrand steht ein Gartentisch mit zwei Stühlen. Narzissen und bunte Tischleuchten deuten den Frühling an in jenem Garten, in dem Verführung und Grenzüberschreitung nahe beieinanderliegen. Pedrillo, als Gärtner gekleidet, lässt Blonde, seine Geliebte, wissen, dass Belmonte in der Nähe und die Flucht vorbereitet sei.
Das ist die letzte Probe von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper «Die Entführung aus dem Serail» von Bühnen Bern, bevor der Chor, das Orchester und der Dirigent Artem Lonhinov dazustossen. Regisseurin Barbara Weber arbeitet nur noch an Details und technischen Schlüsselfragen. «Im Theater würden jetzt die Endprobephase beginnen», so Weber. «Bei der Oper starten die Sängerinnen und Sänger bei Probebeginn jedoch an einem anderen Punkt. Sie haben während eines Jahres ihre Partituren eingeübt. Nach drei bis vier Wochen steht die Inszenierung, schliesslich liefert die Musik bereits ein festes Gebäude.»
Für Regisseurin Barbara Weber, die von 2008 bis 2013 Co-Direktorin des Theaters Neumarkt in Zürich war und seither als selbstständige Regisseurin, Kuratorin und Produzentin arbeitet, ist das die erste Operninszenierung. In der Vergangenheit habe sie viele Anfragen für Operninszenierungen bekommen, was bis anhin jedoch zeitlich und thematisch nie gepasst habe. «Ich liebe Mozarts innere Welten, die eine Zerrissenheit thematisieren. Das Serail als Versuchsanordnung hat mich interessiert.» Ausserdem habe «Die Entführung aus dem Serail» eine kleine Besetzung; neben drei Sängern und zwei Sängerinnen ist mit dem Bieler Roger Bonjour auch ein Schauspieler mit von der Partie – so habe sie sich an die Operninszenierung herangewagt.

Musikalisch anspruchsvoll

Die Uraufführung des Singspiels in drei Akten mit dem Libretto von Johann Gottlieb Stephanie fand 1782 am Burgtheater Wien unter der Leitung Mozarts statt. In der Originalhandlung sind die junge Spanierin Konstanze (in der aktuellen Inszenierung Patricia Westley, Sopran), ihre englische Zofe Blonde (Josefine Mindus, Sopran) und deren Freund Pedrillo (Michał Prószy´nski, Tenor) nach einem Schiffsunglück auf einen Sklavenmarkt verschleppt worden und so in die Obhut von Bassa Selim (Roger Bonjour, Schauspiel), einem zum Islam konvertierten Herrscher, gelangt. In seinem Serail leben sie unter halbwegs erträglichen Bedingungen. Nachdem Konstanzes Verlobter Belmonte (Ian Matthew Castro, Tenor) einen Brief von Pedrillo erreicht, reist er an die beschriebene Küste, um die Gefangenen zu befreien. Am Ende werden die Flüchtenden von Bassa Selims Diener Osmin (Christian Valle, Bass) gefasst, doch der Herrscher verzichtet auf Bestrafung und schenkt den Liebenden die Freiheit.
«Musikalisch ist diese Oper sehr anspruchsvoll», so Weber. Ihre Aufgabe als Regisseurin habe darin bestanden, eine Geschichte um die Musik herumzubauen, die Sängerinnen und Sänger in eine gute körperliche Korrespondenz zu bringen – und zwar immer mit dem Respekt vor deren Bedürfnissen und mit einer «gescheiten Interpretation des Stoffes».

Das Serail als Experimentierfeld

Anstatt an kulturelle und religiöse Motive anzuknüpfen, lese sie das Serail als Experimentierfeld in der Fremde, wo neue Gefühle und Identitäten ausprobiert werden können. «In diesem Kosmos, der zugleich gefährlich und auch erotisch aufgeladen ist, kann die eigene Gesellschaft gespiegelt und Kritik angebracht werden, worauf auch Mozart abzielte», so Weber. Ihr gehe es viel mehr um den Geschlechterkampf und um individuelle Auseinandersetzungen als um kulturelle Unterschiede: «Die Welt ist schon genügend aufgeladen. Das andere kann auch in einem selbst sein.» Ihr Serail ist eine Art Luxusresort, ein rechtsfreier Raum, in dem sowohl Begegnungen als auch Überschreitungen stattfinden, im Zentrum Bassa Selim, der mittels Überwachungskameras alle Bewegungen im Serail aufzeichnet.
«Man versteht etwas erst durchs Machen», ist Barbara Weber überzeugt. «In den Arien passiert so viel. Das ist nicht einfach ein Gefühl, das gross gemacht wird.» Durch die Inszenierung sei sie Mozart nähergekommen. «Das ist eine Begegnung, die ein Leben lang bleibt.»

Stadttheater, Bern, 4./12./18./26.5./4./7./9./15./23.6. jeweils 19.30 Uhr, sonntags 18.00 Uhr.
Infos: buehnenbern.ch


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


«Wenn niemand lacht, beginne ich zu schwitzen»

Die Komödie «Die Dampfnudel» von Dmitrij Gawrisch feiert bei Bühnen Bern Premiere. Der «Anzeiger Region Bern» sprach mit dem Autor und Reportagen-Redaktor über das Stück und sein Verhältnis zu seinen drei Heimaten.

Ein Sturm durch die Weltgeschichte

Der Schriftsteller und Fotograf Fritz Mühlemann aus Meikirch legt mit «Föhn.Sturm» ein Prosagedicht vor, das durch die Jahrtausende weht, angefangen im Holozän. Dabei jongliert er geschickt mit Fitkion und Fakten; Fotografien, historische Dokumente und Grafiken geben die Atmosphäre vergangener Ze...

Pianospiel in der vierten Dimension

Yes It’s Ananias Pianospiel rüttelt an den emotionalen Grundfesten. Der Musiker schafft mit seinen Auftritten eine performative Erfahrung ganz im Sinne der Fluxus-Bewegung.