Papa fragt, nachdem er die Zeitung gelesen hat, ob es nicht problematisch sei, einen ungesunden Lebensstil zu propagieren, damit die Clubs und Konzertlokale überleben könnten. Ich zitiere Urs, der immer sagt, nur ungesund könne das alles ja doch nicht sein. Papa meint es nicht so, er findet auch einen ungesunden Lebensstil legitim, aber er fragt sich trotzdem: Hängt denn so viel am Alkohol? Wie ginge es sonst? Ich sage irgendwas Romantisch-Verbrämtes darüber, wie wichtig es ist, mit Menschen zusammenzukommen und dass da auch Unerwartetes passieren kann.
Die Krise im Nachtleben hat sich in den letzten Monaten noch verschärft, viele Leute gehen nicht mehr raus, nicht mehr an Konzerte, nicht mehr in den Club. Und ich sitze ja selber daheim, weil es manchmal nicht anders geht. Wir fragen uns: Ist wirklich einfach Corona schuld? Haben diese zwei Jahre gereicht, den Nachwuchs zu kappen? Was ist aus dem Vorplatz geworden – früher jedes Wochenende pumpevoll bis auf die Schützenmatte und die Neubrückstrasse hinaus? Man musste nirgendwo anders hin, es waren einfach alle da, eine Schule im wahrsten Sinne.
Jetzt bitten Sous Le Pont und Rössli in einem Post auf Instagram um Hilfe, sie sagen: Wir brauchen Geld und Support, bitte kommt in die Beiz, ans Konzert, an die Party oder Kartenspielen. Aber kommt. Auch die Brass, auch das Fri-son, das Kapitel, das seinen Restaurantbetrieb nicht mehr weiterführen kann. So viele mehr. Die Veranstalter:innen klagen über schlechte Vorverkäufe, zu wenig Leute, gutes Booking, aber zu wenig Leute, Scheisse.
Sind wir nostalgisch? Haben wir ein Alkoholproblem? Wie ist ein Leben ohne Livemusik auszuhalten? Es ist aber auch eine Praxis, die erlernt werden muss, man kann sie nicht einfach so. Freiwillig in einen eventuell stickigen, eventuell verrauchten, eventuell engen Raum mit eventuell Besoffenen o. ä. zu stehen, muss man geil finden lernen. Manchmal gibt es für mich kein grösseres Glück. Ich weigere mich zu glauben, dass es nicht irgendwie funktionieren kann.
Alice Galizia schreibt über Musik, zum Beispiel im KSB Kulturmagazin und in der WOZ, und veranstaltet Konzerte, zum Beispiel im Café Kairo. Sie lebt in Bern.