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Der grosse Auftritt des ausgebremsten Grünen

Eine breite Initiative stellt sich gegen den geplanten Autobahnanschluss Wankdorf. Dafür weibelt massgeblich Markus Heinzer.
Das hat auch mit dem Verhältnis des Grünen Bündnisses (GB) zu den Männern zu tun.

| Sophie Feuz | Politik
Markus Heinzer. Foto: Nik Egger
Markus Heinzer. Foto: Nik Egger

Die «Verkehrsmonster-Initiative» des Vereins Spurwechsel ist zustande gekommen, gestern sind die nötigen Unterschriften eingereicht worden. Das Stadtberner Stimmvolk wird sich also zum geplanten Autobahnanschluss Wankdorf äussern können – obwohl es dazu formal nichts zu sagen hat. Das letzte Wort hat nämlich das Bundesamt für Strassen (Astra), welches das 250-Millionen-Projekt mit Bundesgeldern realisieren würde.

Dass es nun in der Stadt Bern trotzdem zur Abstimmung kommt, ist zu grossen Teilen auf Markus Heinzer zurückzuführen. Er ist Präsident und Sprecher des Vereins Spurwechsel; er weibelte bei den Parteien um Unterstützung für die Initiative, posierte für Medienfotos mit Transparenten und sammelte selbst bei kaltem Regen Unterschriften. Wer ist der Mann, der zuvor in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung getreten ist? Und was treibt ihn an, Energie in eine Initiative zu stecken, die rechtlich gesehen nicht mehr als eine Meinungsumfrage ist?

Das Treffen mit dem 48-jährigen Erziehungswissenschaftler findet in einem geräumigen Souterrain in der Lorraine statt: dem Hauptquartier von Spurwechsel. Markus Heinzer wohnt im selben Reihenhaus, jetzt sitzt er locker am grossen Sitzungstisch.

Sein Engagement resultiere aus einem Ohnmachtsgefühl, sagt er. Seit 2019 habe die Klimabewegung an Kraft verloren, für viele Menschen rückten andere Sorgen in den Fokus. Doch statt sich lähmen zu lassen, finde er im Engagement neue Energie: «Aufgeben ist für mich keine Option.»

Er will gewinnen

Nach Heinzer ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um sich gegen Autobahnprojekte zu wehren. Schon heute ist die «Verkehrsmonster-Initiative» nach seinen Begriffen ein Erfolg, was er an der grossen Unterstützung für die Initiative und dem raschen Sammelerfolg festmacht – bereits nach der Hälfte der Sammelfrist seien die nötigen Unterschriften beisammen gewesen.

Auf eine «Meinungsumfrage» reduzieren lassen will Heinzer die Initiative nicht. So verweise das Astra stets auf die Zustimmung des – notabene rot-grünen – Gemeinderats, um den Autobahnanschluss zu bewerben. Heinzer hofft, dass das Astra das Projekt beerdigt, wenn sich die Stadtbevölkerung deutlich dagegen ausspricht. «Es macht nur Sinn, wenn es eine Möglichkeit zu gewinnen gibt, sonst ist es Kühnheit», sagt er. Das Zitat stamme aus einer Obama-Biografie.

Selbst wenn die Initiative am Schluss angenommen wird, verschwendet Heinzer nicht seine Energie damit? Michael Ruefer von der GLP, ein Mitstreiter der Initiative, schätzt deren Einfluss kleiner ein. «Leider sind wir an einem Punkt in der Planung, an dem schon sehr viel entschieden wurde.» Man sollte sich nicht zu stark am Wankdorf «festbeissen», wo es für einiges schon zu spät sei, sondern verkehrspolitisch weiterdenken. 

Nadelöhr Stadtrat

Dass Markus Heinzer in der Berner Verkehrspolitik zu einem grossen Auftritt kommen würde, war nicht vorhersehbar. Der Erziehungswissenschaftler befasste sich in seiner Doktorarbeit mit Schulkommissionen. Da sein Interesse geweckt war, übernahm er 2015 für das Grüne Bündnis (GB) einen Sitz in der Schulkommission Breitenrain-Lorraine und wurde vier Jahre später sogar deren Präsident.

Eher zufällig kam er zum Verein Spurwechsel. Das GB wurde angefragt, Vorstandsmitglieder zu stellen. Heinzer meldete sich freiwillig und wurde an der ersten Sitzung gleich zum Präsidenten gewählt – niemand anderes hatte sich fürs Amt beworben.

Zweimal hat Heinzer, der von 2017 bis 2021 auch als Vizepräsident des GB amtete, für einen Sitz im Berner Stadtrat kandidiert. Er habe die Sache ernst genommen und Wahlkampf betrieben, sagt er. Beide Male reichte es aber nicht. «Ich werde immer mehr ein alter weisser Mann. Und es ist halt nicht mehr die Zeit für die, das habe ich jetzt gemerkt.» Er zwinkert und auf seinem Zahn blitzt ein aufgeklebtes Glitzersteinchen auf. Er wolle sich absolut nicht als Opfer darstellen, weil er den historisch bedingten Nachholbedarf der Frauen gut verstehe. Trotzdem bedauert er, dass das Geschlecht offenbar immer noch das wichtigste Kriterium für die GB-Wählenden sei. Aktuell sind im Stadtrat zehn von zehn GB-Sitzen von Frauen besetzt.

Auch Fahrlehrer als Verbündete 

Doch nicht nur betreffend Geschlecht unterscheidet er sich von vielen GB-Politikerinnen: Er scheut auch den freundschaftlichen Umgang mit dem politischen Gegner nicht – was etwa FDP-Stadtrat Oliver Berger bestätigt. Er schätze Heinzer denn auch als Person – trotz divergierenden Ansichten. Die beiden kennen sich seit Jugendzeiten, als sie zusammen ein Sommerlager
leiteten.

Für den unkonventionellen Grünen sind sogar Autofahrlehrer Verbündete – wenn es darum geht, anderen sicheres und korrektes Fahren beizubringen. Heinzer bildete während sieben Jahren Fahrlehrerinnen aus und sieht darin bis heute keinen Widerspruch zu seiner Politik.

Zu Heinzers Offenheit beigetragen hat wohl auch die Zeit, als er in der Könizer Verwaltung tätig war. Er habe daran besonders geschätzt, dass über die Parteigrenzen hinaus eng miteinander gearbeitet worden sei, sagt Heinzer. «Manchmal wusste man gar nicht mehr, wer welche Partei vertrat.» Dieses Parteigeplänkel und Fraktionsdenken auf den höheren Ebenen ermüde die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.

Doch Hand aufs Herz: Lebt in ihm nicht doch noch Hoffnung auf einen Sitz in einem Parlament? Das bernische Kantonsparlament würde ihn schon reizen, sagt er, «aber alle Ämter führen über den Stadtrat, und dieses Nadelöhr ist einfach zu eng». Ein Parteiwechsel kommt für ihn trotzdem nicht infrage. Im GB werde auch die ausserparlamentarische Arbeit sehr geschätzt, und andere Parteien seien ihm politisch zu weit weg, sagt er. Sein aktuelles Ziel ist es ohnehin, diese Autobahnprojekte «zu bodigen». Und das könne noch Jahre dauern.

Ein 250-Mio-Projekt gegen Staus und Unfälle

 

Das Bundesamt für Strassen (Astra) will den Verkehrsknoten Wankdorf aus­bauen. Er gilt als Stau- und Unfallschwerpunkt. Die verschiedenen Verkehrsströme sollen auf drei Ebenen «entflochten» werden. Geplant sind drei Zu- und Ausfahrtsrampen, eine Eventstrasse zum Bernexpo-Gelände und eine Velo­brücke. Kostenpunkt: 250 Millionen.

Nach Stadtrat Oliver Berger (FDP) ist diese Engpassbeseitigung absolut nötig, um den Transitverkehr um die Stadt herumzuleiten. «Die Infrastruktur muss der Realität angepasst werden.» Auch der rot-grün dominierte Gemeinderat teilt diese Ansicht.

Die Rot-Grün-Mitte-Parteien wie auch die EVP und die GLP unterstützen aber die Initiative aus grundsätzlichen Überlegungen. Mehr Strassen führten stets auch zu mehr Verkehr, heisst es etwa. Im Berner Stadtrat sprach sich eine Dreiviertel-Mehrheit gegen die Wankdorf-Umgestaltung aus.


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