Die Achsenmächte Deutschland und Italien stehen an den Landesgrenzen. Die Schweizer Armee ist mobilisiert. Das Réduit in den Voralpen und Alpen wird bezogen. In dieser Lage erhält der 30-jährige Feldprediger Hauptmann Felix Weidlin einen geheimen Auftrag. Vom allseits verehrten General Henri Guisan persönlich. Vierzig Jahre später erinnert sich Weidlin. Der Krimi «Seefeld» von Hans Herrmann ist der Bericht über die Erinnerung.
Der Auftrag, den der Feldprediger vom General erhält, ist sonderbar genug: Im Réduit soll Hauptmann Weidlin unter grösster Geheimhaltung einen Ort für den Generalsbunker suchen. Jenen Bunker, in welchen der Chef der Armee sicher unterkommen soll, wenn die Feinde das Schweizer Mittelland einnehmen sollten. Und noch spezieller: Guisan nimmt dafür Bezug auf eine Sage über eine untergegangene Stadt, die niemand mehr kennt; sie muss vor Jahrhunderten in den Bergen verschüttet worden sein.
Es beginnt eine abenteuerliche Suche und Maskerade. Weidlin tarnt sich als Sagenforscher, findet durch allerlei Zufälle den ungefähren Standort der verschwundenen Stadt, taucht in ein Höhlensystem im Karstgebiet Seefeld oberhalb von Habkern. Hilfsbereite Begleitpersonen tauchen auf, verschwinden unversehens, erweisen sich als verdächtig, werden gejagt. Auch ein stellvertretender Leiter des militärischen Nachrichtendiensts und sein Fahrer tauchen auf und unter, grobe Spässe entwickeln sich zu lebensbedrohlichen Angriffen.
Ohne die Geschichte zu verraten: Beim Lesen fragt man sich, ob der Hauptmann Weidlin gar naiv sei oder ob wir uns ein schönfärberisches Bild von der generalmobilisierten Schweiz machen. Jedenfalls erweisen sich die innenpolitischen Gegner des Bundesrats und des Generals – die Nazi-freundlichen Verräter der «eidgenössischen Sammlung» als erstaunlich omnipräsent und gut getarnt. Sie scheinen wie Fische im Wasser zu schwimmen.
Am Ende gibt es Tote, der Verrat fliegt auf, der Auftrag findet ein gutes Ende, Hauptmann Weidlin kehrt zu seiner ordentlichen militärischen Aufgabe zurück. Ein paar Jahre später geht der Zweite Weltkrieg zu Ende. Die Armee wird entlassen. Wirklich Schlimmes ist nicht passiert.
Hans Herrmann hat eine spannende, doch insgesamt recht harmlose Geschichte konstruiert, deren Auflösung nicht ganz überzeugt. Die Figuren, Freunde und Feinde, sind leicht überzeichnet. Und dass ausgerechnet ein Feldprediger im Zentrum des Geschehens steht, kann man als Ironie empfinden oder als Hommage an Herrmanns Werdegang, der als Theologie nach Jahren bei der «Berner Zeitung» heute Redaktor der Monatszeitung «reformiert» ist. «Seefeld» ist nicht seine erste Publikation; Herrmann hat zuvor Prosa und Lyrik veröffentlicht und auch Theatertexte geschrieben. Und der Berner Lokwort-Verlag hat ein schönes Buch gemacht.
Übrigens: Das im Roman gesuchte Geheimnis heisst «schweres Wasser». Schwer wird Wasser genannt, das anstatt zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom (H2O) zwei Deuteriumatome und ein Sauerstoffatom beinhaltet (D2O). Nazi-Deutschland suchte auf dem Weg zur ultimativen Zerstörungswaffe «schweres Wasser», etwa in Norwegen. Bei D2O genügt natürliches Uran als Spaltmaterial, bei leichtem Wasser braucht es angereichertes Uran. Bekanntlich schafften es die Nazis nicht, die Atombombe zu bauen, im Gegensatz zu den USA. Und als der Weltkrieg vorbei war und Amerika sich auf den Weg der «Atome für den Frieden» begab, war es die Schweiz, die als erstes Land einen US-Leicht-Wasserreaktor kaufen konnte, den «Saphir». Dies kann man in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift «NZZ-Geschichte» ab Seite 20 lesen.
Hans Herrmann lässt im Nachtrag keinen Zweifel daran, dass im Roman Realität und Fiktion nicht sauber getrennt werden können. Er dankt seinem Grossvater, Sanitätsfeldweibel im Aktivdienst, für die Erzählungen über die Mobilmachung. Am Schluss erklärt er: «Wir Leseratten sind es, die das Kulturgut Buch am Leben erhalten». Und fragt: «Oder ist es das Buch, das uns am Leben erhält»?
Die Frage allein lohnt die Lektüre.

Hans Herrmann: Seefeld
Kriminalroman
Buchverlag Lokwort, Bern 2025
CHF 32.–