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Das Bekannte neu entdecken
85 Jahre nach seiner Eröffnung erfindet sich das Schweizer Schützenmuseum in Bern neu: Aus der waffenstrotzenden Sammlung ist eine lebendige Ausstellung über Menschen, Geschichte und Gemeinschaft geworden. Mit Feingefühl zwischen Bewahrung und Erneuerung zeigt das Museum, dass Schiessen weit mehr ist als Zielscheiben und Tradition – es ist Teil einer demokratischen Kultur.
 
Das Schweizer Schützenmuseum an der Berner Bernastrasse ist 1939 eröffnet worden. Der Einzelbau, architektonisch im Heimatstil der damaligen Zeit errichtet, schmiegt sich an die Parkmauer des Bernischen Historischen Museums. Er ist dem Naturhistorischen Museum benachbart. Mit weiteren kulturellen und Bildungsinstitutionen gehört das Schützenmuseum zum Museumsquartier Bern.
Bis im Herbst 2024 schien im Schützenmuseum die Zeit stehen geblieben zu sein. Die vor 85 Jahren eröffnete Erst-Ausstellung war in grossen Teilen unverändert geblieben und zeugte vom Museumsverständnisses ihrer Entstehungszeit. 1939 war ja der Beginn der Geistigen Landesverteidigung, das Gründungsjahr der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die unser Land vor der Angleichung an den Faschismus bewahren sollte. Für die Heutigen, erst recht die Jungen, wirkte die menschenleere, waffenstrotzende und mit zahlreichen weitgehend identischen Objekten vollgestopfte Ausstellung wie ein Schatz, zu dem der Schlüssel verloren gegangen war. Nur wenig Geschichte beleuchtete den Zugang zu den Gegenständen, Vieles dämmerte im Zwielicht. Dass es um Menschen geht, um Sport, dass das Schiessen ein gewichtiges und für die Entwicklung der Demokratie in der Schweiz unentbehrliches Mittel der Zusammengehörigkeit, der Geselligkeit und des friedlichen Sich-Messens war und noch immer ist – das schien kaum auf.
Dies war auch den knappen Ressourcen geschuldet. Trotzdem wurde in den letzten Jahren hinter den Kulissen viel investiert, um eine neue Dauerausstellung überhaupt möglich zu machen (etwa in Depots, eine Objektdatenbank, in eine IT-Struktur). Die eingeschränkten Möglichkeiten haten indes auch Vorteile: so blieben altes Mobiliar und charmante Vitrinen erhalten, die heute noch gute Dienste leisten.
Im Herbst 2024 schloss das Museum für ein Jahr seine Türe. Und wer jetzt, in den letzten Wochen der Erneuerung, durch die Glastüre tritt, reibt sich die Augen. Vom Boden bis zur Decke des Treppenhauses bevölkern grossformatige Fotos von Menschen jeden Alters und aus jeder Epoche der fast zweihundertjährigen Geschichte den Raum, darunter zahlreiche Frauen. Schiessen, wird man sanft informiert, ist ein Sport für alle, hat nichts zu tun mit blutrünstiger Waffennarretei, mit Töten und Armee, sondern mit Disziplin, Wettkampf, Tüftelei bis in den Schnitt und die Stoffe der Kleidung. Geschossen wird nicht auf Abbildungen von Menschen oder Tieren; Ziele sind grafische Kreise oder andere Zeichen.
Neu ist im Schützenmuseum vor allem dies: Gezeigt werden Menschen heute und in der Vergangenheit. Über die Menschen werden Geschichten erzählt: Vom Schiessen, von Waffen und – mit Gewinn – von der Bedeutung des Schiesssports für die Gesellschaft, den Staat und das Selbstverständnis der Einzelnen und der Vereine, die noch immer eine grosse Rolle spielen. Die Erzählungen sind eingebettet im insgesamt gleich gebliebenen Gebäude, dessen etwas retro wirkender Charme mit Klinkerböden, Wappenscheiben und einzelnen kunstvoll geschnitzten Einbaumöbeln hervorgehoben wird durch eine – Entschuldigung! – Entrümpelung, Verschlankung und dadurch eine Hervorhebung der Objekte, deren Anzahl drastisch verringert worden ist. «Reduce to the max» könnte das Motto sein.
Schlendert man durch das «neue» Schützenmuseum begegnet man nichts Neuem. Aber man entdeckt das Bestehende neu: Durch seine Anordnung im Raum, durch seine Verknüpfung über Erzählungen, durch eine plötzlich eintretende Fremdheit des an sich Bekannten. Eine Art ethnologischer Blick schafft Ordnung im bisher ungestalteten Überfluss, zoomt Objekte heran – und macht das Alltägliche so neu spannend. Die Welt des Schiessens erscheint – neu gezeigt – kaum weniger entdeckenswert als Grönland im Alpinen Museum.
Die Verwandlung hat ihren Preis. 750’000 Franken hat die neue Dauerausstellung gekostet, die viele Jahre Bestand haben soll. Rund 400’000 Franken waren zusätzlich nötig für Massnahmen am in die Jahre gekommenen Bau. Dazu gehört, nur ein Beispiel, die Erneuerung des WCs im Parterre, die von den Bodenplättchen bis zu den Kacheln der Wand das Alte respektiert und dennoch die heutigen Bedürfnisse berücksichtigt. Es ist eine Gratwanderung zwischen Bewahrung und Erneuerung, die mit Feingefühl und Radikalität gelungen ist.
Gut, haben der Schiesssportverband, der Kanton Bern, die Burgergemeinde Bern, viele Stiftungen und Private das kostengünstige – doch für die Verhältnisse des Schützenmuseums aufwendige – Projekt finanziell mitgetragen, das die Stiftung Schützenmuseum auch aus eigenen Mitteln ermöglichte. Der Versuch, ein ideologisch befrachtetes Thema transparent neu darzustellen, ist gelungen. Ab dem 1. November kann sich jede und jeder selbst ein Bild machen. Hingehen.
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