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Über die Disziplin

In dieser Kolumne spricht die Autorin Saskia Winkelmann über Disziplin und wie uns Routine hilft. 

| Bettina Gugger | Kultur
Saskia Winkelmann
Kolumnistin Saskia Winkelmann. Foto: Eglé Salkauskyte

Am frühen Morgen habe ich eine Nachricht von einer befreundeten Schriftstellerin bekommen, sie schaffe es wohl nicht zu unserem Mittagessen, sie habe bis eben geschrieben, es sei nicht aufhaltbar gewesen. In mir habe ich zwei Dinge gespürt: Erleichterung, mehr Zeit zu haben für diesen Text, der in wenigen Stunden abgegeben sein muss. Und die Frage, wie lange es her ist, dass ich aus einer inneren Notwendigkeit unaufhaltsam geschrieben habe. Es stellen sich ja viele vor, dass Kunstschaffende in den Tag hineinleben, bis etwas sie so (be)trifft, dass es sie ins Atelier zwingt und sich da als Werk manifestiert. Mir passiert das selten. Meistens habe ich zu wenig Geduld, Geld oder Zeit, um abzuwarten – abgesehen davon, dass Warten gesellschaftlich keine besonders anerkannte Tätigkeit ist (davon in einer anderen Kolumne).

Disziplin ist wohl eines der bekanntesten Werkzeuge der Kunst und bringt als Nebeneffekt manchmal sogar Anerkennung; siehe hierzu nochmals: gesellschaftliche Werte. Wer jeden Tag schreibt, wird fast sicher ab und zu ­etwas Passables schaffen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass man gerade in einem inspirierten Moment am Schreibtisch sitzt, steigt mit der Zeit. Und oft liegt der Keim von Grossem in etwas zunächst Unscheinbarem. Wer regelmässigt diszipliniert ist, wird ausserdem mit Routine belohnt, was weit weniger Kraft braucht. Ein Mensch sollte nicht alle Kraft für Kunst auf­wenden.

Zum Problem wird Routine nur dann, wenn daraus ein Trott wird, der jeglichen Elan auslöscht. Deswegen gibt es Deadlines. Die können so stark auf einen einwirken, bis Worte einfach herausschiessen, das ist Physik. Und äusserst kräftezehrend. Ich wieder­hole: Ein Mensch sollte nicht alle Kraft für Kunst aufwenden.

Ein grosser Teil des Schreibens, jeglichen künstlerischen Schaffens, ist also, herauszufinden, wo die Geschichten und Gedanken hocken, und, wichtiger, wie sie von da am besten in die Welt kommen. Sie zu provozieren, anzuregen, zu bezirzen. Mal geht das verspielt, oft auch rabiat, im besten Fall unaufgeregt zu und her. Es ist eine ständige Suchbewegung.

Dieser Text ist unter Zeitdruck entstanden. Deshalb freue ich mich nun auf ein Wochenende in meinem Atelier, an dem nichts passieren muss und ich warten darf, bis sich etwas zeigen will.

 

Saskia Winkelmann ist freie Autorin und DJ. Sie hat im April 2023 ihren ersten Roman, «Höhenangst», beim Verlag die Brotsuppe veröffentlicht.

Sie empfiehlt «Wir hätten uns alles gesagt» von Judith Hermann, wo es auch viel ums Schreiben geht.


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