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Zeit, Steuern und Pausen

Unsere Kolumnistin Saskia Winkelmann denkt übers Erwachsensein nach, während sie ihre Steuererklärung ausfüllt. Dabei fällt ihr auf, dass mit zunehmendem Alter die Aufgaben mehr und die Pausen weniger werden.

| Saskia Winkelmann | Kultur
Saskia Winkelmann
Foto: Eglė Šalkauskyte

Ich bräuchte eine Pause. Es ist März und ich denke wieder mal über Zeit nach. Nie fühlt sie sich mehr wie zu starker Rückenwind an und ich mich erwachsener, als wenn ich Quittungen für die Steuererklärung ordne (höchstens, wenn ich Steuern zahle). Ich entkomme diesem Gefühl ansonsten gut, hocke ich doch immer noch allein in meinem Zimmer (Atelier) und denke mir Geschichten aus (Texte), nur kann ich davon inzwischen die Miete ebendieses Zimmers zahlen. 

Aber was heisst Erwachsensein, ausser in einem erwachsenen Körper stecken, überhaupt? Ich glaube, das Gefühl ist vor allem an Tätigkeiten geknüpft, die wir als Kind den älteren Personen in unserem Umfeld zugeordnet haben. Bei mir: Geld haben und ausgeben. Autos ein- und ausparken. Lüften, obwohl es kalt ist. Nach dem Zähneputzen noch Süsses essen können, aber es nicht tun. Und so weiter. Und natürlich ab und zu sagen, dass die Zeit immer schneller vorbei gehe, je älter man werde. Ich glaube, dass das so ist, weil wir immer mehr machen müssen und immer mehr Hirnmasse fürs Machen verwenden, fürs Vorwärtsschauen. Wenn das Erwachsensein ist, dann will ich das nicht (oder nicht nur)! Denn eigentlich, denk ich mir, während ich meine Einnahmen und Ausgaben in eine Tabelle einfülle, müsste es doch hauptsächlich bedeuten, dass wir weiser, kritischer, wütender, sanfter, gerechter werden. Dass wir lernen, differenziert zu denken, Verantwortung übernehmen für unser Handeln, eine Haltung und eine Stimme entwickeln. Aber für all das bräuchte es unproduktive Zeit, in der wir innehalten, anstatt alles zusammenhalten. Pausen, die wir oft nicht haben, uns nicht nehmen oder uns nicht leisten können (davon in einer anderen Kolumne): Pausen. Und zwar nicht, damit wir später noch mehr machen können, sondern damit wir weniger machen. Pausen. Damit wir nicht reagieren, sondern agieren. Pausen. In denen wir zuhören. Pausen. Um uns berühren oder kitzeln zu lassen.

Kunst und Kultur können solche Pausen sein. Oder Spaziergänge. Oder sich auf eine Bank setzen und hinhören. Sich mit jemandem unterhalten. Pausen dürfen nicht Luxus sein. Allzu oft sind wir aber in unserem selbstgegrabenen Tunnel unterwegs und steuern auf ein nie näher kommendes Licht zu. Was wäre, wenn wir uns umschauen oder sogar rückwärts gehen und unsere metaphorische Schaufel ruhen lassen?

 

Saskia Winkelmann ist freie Autorin und DJ. Sie hat im April 2023 ihren ersten Roman «Höhenangst» beim Verlag die Brotsuppe veröffentlicht. Sie empfiehlt auf einem Teppich zu liegen. 


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